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Reisebericht zum Arsch der Welt
(Philipp Gysin)
Ist es kalt oder warm am Arsch der Welt? Gibt es den Arsch der Welt überhaupt? Die Welt ist ja kugelrund, beinahe. Heute morgen beschloss ich, den Arsch der Welt aufzusuchen, irgendetwas normales, inzestgefaerdetes.
Am Bahnhof stehe ich vor einem Billetautomaten. Zwei Penner sitzen nebenan und beaeugen mich umringt von einem bellendem Hund und ein Dutzend leeren Bierdosen.
Kein Arsch unter A auf dem Billetautomaten, der Arsch der Welt liegt im Tarifverbundsbereich. Japanerinnen und Japaner stehen im Freizeitlook fotografierend vor mir.
Die Tageskarte! Ich nehme den erstbesten Regionalzug, haelt ueberall, wie ueblich.
Im Zug ist wenig zu spassen, viele tragen Walkman, die Provinz strahlt aus, wahrscheinlich Leute im Pendelverkehr. An einem Viererplatz sitzen drei Maenner, dem Anschein nach Asylbewerber. An einem anderen Vierer zwei Tamilen. Raucherabteil. Der Platz ist eng, die Luft dick. Fuer den Zug ist einzig dieser halbe Wagen freigegeben. Wohin verschlaegt es all die Leute?
Muttenz, Pratteln, Frenkendorf,... es hoert nicht auf. Zehn leute steigen aus, zehn ein. Von Bahnhof zu Bahnhof. Zwischendurch rast ein Indercity oder ICE vorbei. Die Asylbewerber machen sich zum Aussteigen bereit. Ich beschliesse ihnen zu folgen.
Wie in einem Film kaufe ich mir eine Zeitung, den Blick, bore zwei Loecher durch den Blick und spioniere weiter, ich will nicht auffallen. Sie begeben sich zu einem Postautoterminal, bestehend aus mehreren Spuren, flachgewalzt und elektronischen Anzeigetafeln mit kleinen beweglichen Buchstaben drauf.
Der Weg zum Arsch der Welt kann doch nicht so komfortabel sein... Das stinkt nach Geld, wer hat denn gesagt, dass der Arsch der Welt ein schlecht bezahlter sein soll?
Die Postauto x, y, z, k und p spuren ein. meine Fremden sind alle versammelt. Nur drei steigen ins Postauto ein. Zwei weitere Fahrgaeste gibts noch, Pensionsalter.
Der Arsch der Welt der eine überalterte Bevoelkerung hat? Verdaut? Die Alten mustern mich. "Ein Staedtler", scheinen sie zu denken. Ihre Mundwinkel zeigen fuenf nach halb sechs.
Das Postauto waelzt sich durch Nebenstrassen ueber Huegel und Taeler. Eine Borduhr zeigt in grossen digitalen Ziffern die Uhrzeit an (inklusive Sekunden). Rundumklimatisation. Ich knoepfe mir den Blick vor, Buergerpornographie, Titten, Pos, ueble Sprueche, noch bloedere Headlines und drei Seiten Telekiosk Nummern, Sport und Statistiken, Motoren Tests.
Endstation, die drei Fremden huschen davon. Die Alten schauen selbstzufrieden umher. Blickkontakte zu anderen Eingeborenen auf dem Dorfplatz bestaetigen ihre Haltung, Faust im Sack.
Die Fremden laufen auf einen Sportplatz zu, daneben eine Zivilschutzanlage, ein ¸uebler Betonbunker. Schuesse. Die ZS-Anlage ist bullenartig von Stacheldraht umzaeunt. Schuesse. "Heute ist Pflichtschiessen Fruehling 97 fuer die Jahrgaenge 53-58". Alles in bester Ordnung. Schuesse. irgendwie glaub ich mich nicht am Arsch der Welt.
"Und was gibt es hier zu bewachen?"
"Wir schauen, dass niemand abhaut!"
"Abhaut wohin?"
"Uns Arbeitsplaetze wegschnappen!"
"Und wieviele sind eingebunkert?"
"Acht, Bern will uns aber noch einen zumuten. Das Dorf ist in Aufruhr!"
Ich mag ihm nicht antworten, dass Bern lieber nicht einem Neunten diesen Platz zumuten sollte, er koennte es falsch verstehen. Der Arsch der Welt nimmt niemanden mehr auf.
"Kann ich reinschauen?"
"Nein, das geht nicht ohne Bewilligung!"
"Dann hol ich mir eine."
"Auf der Gemeinde!"
Die Gemeinde, das heisst zurück zum Dorfplatz. Eine dicke bebrillte Alte schleppt sich vom Denner Satelitt ueber den Platz mit forschem Blick, sie versteift sich und haelt ihre Handtasche fest. ich halte an. Sie wirkt noch veraengstigter und blickt mich mit einem boesen Blick an. Was mache ich falsch? Kann mir jemand weiterhelfen? Ich will zum Arsch der Welt!
Ich will ein entspannendes Melissenbad. Drei Dorf-Gorillas kommen in einem aufgemotzten Opel herbei, bremsen, hupen, steigen aus. "Ich suche das Badehaus."
"Wir bringen dich schon hin."
Nett. Boese Vorahnung. Sie halten am Waldrand. Das Melissenbad?
"Ausziehen, Aersche wie du haben hier nichts zu suchen."
Sie treten mir in den Arsch, irgendwo in der linken Tasche habe ich meinen Gluecksbringer. Ich fass ihn und schliesse meine Augen. Ich finde mich in einem wirklichen Hammam wieder und die drei Burschen haben sich in Masseure verwandelt. Sie dreschen mit Handtuechern auf mich ein, die Durchblutung anregen vor dem Dampfbad. Die Waende sind schoen bekachelt, die dampfende Luft riecht nach Holz, Schweiss. Es sind nur Maenner im Raum. Auf einmal taucht die Fratze eines Dorf-Goriallas auf. Der Hammam hat sich in nichts aufgeloest, mein Arsch ist blau, ich stecke in der Scheisse.
Aus purer Verzweiflung gelingt mir die Flucht. Beim Versuch, mich zu schnappen, verkeilen sich die drei Dorf-Gorillas ineinander. ich steige in ihr Auto, schliesse die Tueren. Ein Glueck, dass der Chefidiot den Schluessel steckenlassen hat. Mal schauen, wie sich so ein Zuhaeltermonster faehrt. Motor an, die Drehzahlanzeige zerspringt beinahe. Die Gorillas hauen mit den Faeusten auf das Auto, aber nicht zu fest, schliesslich muss der Chefgorilla den Kredit fuer das Monster zechen. Schnell weg, denn bald verpfeifen mich die Eingeborenen an die Buergerwehr und alle Polizisten von den Aerschern der Welt werden auf meinen Fersen sein. Schnell runter zum Bahnof und zurueck in die Welt, Weg vom Arsch der Welt.
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