rueckwaerts kapitel rueckwaerts cover home kapitel vorwaerts vorwaerts

Vom Schliessmuskel direkt auf die

Mattscheibe

ein Paar skatalogische Phänomene der Filmgeschichte
kommentiert von Patrick Bühler & Michael Gasser

Was Sie hier lesen werden war ursprünglich einmal ein Filmskript für einen Dokumentarfilm, den wir für eine Ausstellung mit dem Titel UNRAT in der Galerie Tumb GmbH (Zürich) verbrochen haben. Das Thema ARSCH bietet verschiedene Herangehensweisen an. Was sicher unbestreitbar ist, der Arsch ist ein Bestandteil eines Gesamtkonzepts, bei dem der Unrat (volkstümlich: Scheissdreck) aus unserem Körper entweichen kann. Das Arschloch (gepflegt: Anus) ist die Pforte, welche mit Hilfe des Schliessmuskels dieses Entweichen ermöglicht. Wie geht nun aber das Medium Film mit einem solchen doch relativ tabubeladenen Thema um?

Der Begriff der Skatologie wird lexikalisch folgendermassen umschrieben: Die wissenschaftliche Untersuchung von Kot oder die Vorliebe für das Benützen von Ausdrücken aus dem Analbereich. Unter dem Ausdruck Koprophagie verstehen wir das Essen von Kot, im Duden mit dem negativen Zusatz "als Triebsanomalie" versehen. Während unserer Recherchen sind wir damals mit unseren geschärften Sinnen für das übel Riechende im publizistischen Bereich des öfteren auf beeindruckende Berichte gestossen.
So haben wir in der Spiegel Ausgabe November 95 gelesen, dass in Nicholas Hytners Film "Madness of King George" besagter König ein Meister des englischen Humors sei, der bekanntlich gerne ins Anale spiele und unreife Naturen ganz besonders amüsiere - etwa wenn sein Leibarzt Peppys nicht müde wird, den Inhalt des königlichen Nachtopfes anschaulich zu begutachten "Seiner Majestät Exkrement ist von guter Form und Farbe und ebensolcher Qualität." oder wenn der König selbst das Ausmass seines Stuhls beschreibt: "Bei Gott, das reicht, um 14 Pfarreien damit zu düngen."
Auch in der Comicszene scheint der Boom diverser körperlicher Ausscheidungen ein Thema geworden zu sein, so berichtete Die Zeit vom 3.November 1995 in ihrer Literaturbeilage nebst Kohout und McLuhan von der Comiczeichnerin Roberta Gregory und ihrer rabiaten Heldin Bitchy Bitch, welche, so Gregory, eigentlich nur eine Art brancheninterner Witz gewesen ist: Eine Parodie auf die sich am Ende des Jahrzehnts wieder ausbreitende Vorliebe für die "hässliche" Comicfigur, auf die neue Derbheit in der Darstellung von Menschen, Geschlechtsteilen und Körperausscheidungen. Veronika Minder, Leiterin vom Kellerkino Bern, erinnerte sich in der WOZ Ausgabe vom 3.November 95 an Divines Publikumsratschlag "Eat shit" in John Waters "Pink Flamingos" und bezeichnet dies als ihr grosses Kellerkinoerlebnis.
Gehört nun dieses Thema im Film eher zu einer doofen Zeitgroteske anstelle ins Reich der Sinne, so wie Vachtova in der Weltwoche vom 2.November Miros Staunen über einen Teller voll mit Exkrementen kritisierte oder haben wir hier mit dem Produkt unserer Verdauung ein erstklassiges Stilmittel für filmische Provokation?
In LES REVES DE TOPOR (bei Arte ausgestrahlt) zeigt der kürzlich verstorbene Roland Topor fröhliches fotografisches Interesse an einem (Hunde)Häufchen und dessen Erstürmen durch französische Fliegen (mit Flaggen), welche mit einem Gewaltakt enden wird: Topor stampft drauf herum.
Fernsehsendungen zeigen uns dauernd Mord, Vergewaltigung und ein Dutzend anderer Verbrechen. Platten, Bücher und Magazine können in der Darstellung noch explizieter werden. Der menschliche Unrat, Kot, Scheisse, an dessen Produktion wir alle beteiligt sind, egal welchen Alters, ist in den Medien jedoch eher ein Tabuthema. Dennoch gibt es Menschen, welche sich nicht scheuten das Thema in irgendeiner Form darzustellen. Schriftsteller wie Andres Serrano und James Joyce wagten sich an das Häufchen heran und mussten feststellen, dass sie sich auf ein kontroverses Glatteis begaben und ihre Werke gegen geschockte und verstörte Menschen vor Gericht verteidigen mussten. Unser Interesse gilt einer Auswahl filmischer Auseinandersetzungen mit dem übelriechenden Stoff.
Die folgenden Filme sind ein "must-see" und haben eines gemeinsam: In allen kommen WC-Schüsseln vor. Nicht die viktorianische geräuschlose Spülung, welche die Benützung der Toilette im 19.Jahrhundert verheimlichen sollte, interessiert uns, sondern die Entlarfung des Toilettenbenützers durch 3 Möglichkeiten. 1. Eine Fliege, ein sogenannter Klatschzeitungen-Journalist, stöbert in der WC-Schüssel in der Prominenten-Kacke herum und knabbert an dieser (in MEET THE FEEBLES von Peter Jackson). 2. Das Produkt der Ausscheidung als eigenständig denkender und sprechender Organismus richtet sich aus der WC-Schüssel heraus gegen seinen Erzeuger: so fängt ein Scheisshaufen mit einem WC-Gänger an zu sprechen und springt ihm in den Mund (in I BOUGHT A VAMPYRE MOTORCYCLE). 3. Ein Knall mit Folgen für den hygienischen Zustand von Marcello Mastroianni wirkt sich so aus, dass er nach der Explosion einer WC-Schüssel, infolge Verstopfung, von oben bis unten mit Kot bespritzt ist (in DAS GROSSE FRESSEN).

Auch die sogenannte Jugendkultur hat zu unserem Thema ein ganz gehöriges Scherflein beizutragen. Gemeint ist die Rockmusik. Wer nun an Punk denkt liegt nicht falsch. Im Dokumentarfilm GG ALLIN & THE MURDER JUNKIES wird der allzu früh verstorbene GG Allin gezeigt. Dies bei einem seiner berühmt - berüchtigten Konzerte, bei denen erfahrungsgemäss mehr als nur die harten Töne auf die verzückt -verschreckten Gesichter der Kids niederprasselten: er liess nämlich des öfteren bei seinen Konzerten die Hosen runter, zeigte seinen Hintern, schiss auf die Bühne und schmiss mit seinem Auswurf um sich, was zu üblen Schlägereien führte. In Ken Russell's mitsiebziger Verfilmung der Who-Rockoper TOMMY quillt aus einem Fernseher zuerst eine Ladung (englischer) Bohnen und danach zwei Tonnen braune Sauce: eine Szene, welche Dreidimensionalität vermittelt und sich schon beinahe an die heutige Multimediadiskussion anschliesst.
Der berühmte Psychoanalytiker Karl Abrahams vertrat um 1920 herum die Ansicht, dass die direkte Befriedigung der Oralerotik dem Erwachsenen näherliegt als die Analerotik.
Heute ist es immer noch schwierig an westlichen Partys über Analerotik (derb: Arschficken und so) zu diskutieren. Obwohl der Analverkehr in einigen amerikanischen Bundesstaaten verboten ist, kann man in Europa problemlos einander im Hintern herumbohren. Dennoch hat die Analerotik, wie wir im Dokumentarfilm SHOCKING ASIA 3 - AFTER DARK gesehen haben im fernen Osten zumindest einen höheren Akzeptanzgrad gewonnen. Unter dem arg dünnen Deckmäntelchen der analen Wahrsagerei (sic!) möchte sich der wie ein Geschäftsmann wirkende Herr aufgrund der Irrungen und Wirrungen seiner Analröhre am Strassenrand die ungewisse Zukunft deuten und im Hintern herumbohren lassen. Die äusserst dürftig bekleidete Anal-Herrin, die in einem Kastenwagen ihr zwielichtiges Metier betreibt, befiehlt dem Herrn sich zu entkleiden. Pflichtschuldigst gehorcht er ihrem Lametta-Zauberstab und legt Kleidungsstück für Kleidungsstück ab. Für die korrekte Vorgehensweise braucht es ein gutes Auge, jede Menge Vaseline und eine Art perlenbesetzen Dildo um die Wahrheit ans schummrige Autolicht zu bringen. Nach dem leicht schmerzverzerrten Gesicht des Kunden zu urteilen, handelt es sich aber vielleicht bei dieser Prozedur doch nicht nur um ein Vergnügen, sondern um eine Kunstform, die den meisten von uns Westeuropäern verschlossen bleibt. Mag sein, dass man für höhere Kunst leiden und leiden lassen muss. Ganz zu schweigen von den dabei gewonnenen Einblicken in die Zukunft.
Nach diesen verheissungsvollen Klängen und Bohrungen ist es nun an der Zeit Sie mit der wohl berühmtesten koprophagen Szene der Filmgeschichte bekanntzumachen. Sie ist zu finden in Pasolini's SALO (120 JOURNÉES DE SODOM). Das umstrittene Meisterwerk, das sich als radikale Abrechnung mit der faschistischen Ideologie versteht, ist ein durchdachtes Kammerspiel, zum bitteren Ende geführt mit den provozierenden Mitteln sexueller und sadistischer Exzesse. Der Film , basierend auf einem Posthum erschienenen Roman des Marquis de Sade, betrat wissentlich und willentlich die Grenzen des gut-bourgeoisen Geschmacks und wurde deshalb in vielen Ländern kurzerhand verboten. Diverse Leute werden darin gezwungen Kot zu essen. Man beachte auch das damals ungenannt bleibend wollende product-placement der schweizerischen Schokoladenfirma Sprüngli (gemäss einem anekdotischen Mythos, welcher sich schon seit Jahren hält).
Nicht nur SALO von Pasolini sorgte bei seiner Veröffentlichung für einen Skandal, auch in der amerikanischen Pornoindustrie rüttelte Gerard Damianos WATER POWER im Jahre 1977 an einem Tabucodex des Genres. Ein Klistierangriff auf eine ahnungslose Stewardeß, verübt von einem etablierten Pornostar namens Jamie Gillis, sorgte u.a. für Verstörung im bürgerlichen Pornogeschmack. Diese Thematisierung in einem international distribuierten Hardcorefilm lässt sich in einer Schlüsselszene im Kabinett der Madame Claude veranschaulichen. Dort erkennt unser angehender Triebtäter in einem Klinikszenario seine lüsterne Erfüllung: er steht auf Einläufe. Schauplatz ist, wie könnte es anders sein, ein Bordell in New Yorks berühmt berüchtigter Vergnügungsstrasse 42nd Street, welche in den 90er Jahren immer wie mehr vom Disney Konzern übernommen wird, wo statt Schwänze und Mösen jetzt süsse kleine Mäuse und Entchen zu bewundern sind.

Genet sagte einmal, dass das Bürgertum hohe Preise bezahlt um sich skatalogische Diskriminierungen anzuschauen. John Waters PINK FLAMINGOS avancierte in den letzten 20 Jahren bei einer breiten Kinogängerschaft zu einem Midnight-Schocker des schlechten Geschmacks. Divine frisst darin Hunde Scheisse, pur, uninszeniert, keine Sprüngli Schokolade. Mit diesem auf Internet abrufbaren Filmausschnitt sind wir nun auch schon am Ende unserer bescheidenen Dokumentation angelangt und hoffen einen Einblick in die Welt riechender Filme ermöglicht zu haben. Sicherlich gibt es thematische Grenzen des Erträglichen für gewisse Leser, aber solange solche Anekdoten, wie die folgende im publizistischen Umlauf sind, dürfen wir uns mit ruhigem Gewissen weiteren delikaten Themen der Kulturgeschichte widmen : Der CIA hat in den 60er Jahren auch schon Interesse an der Skatologie bekundet. Diese Organisation hat den Kot von Brezhnev und König Farouk bei einem ihrer Toilettenbesuche in den Vereinigten Staaten entwendet um diesen in chemischen Versuchen nach irgend etwas verdächtigem zu untersuchen.


Bildnachweis: ohne Titel (eindeutig Aersche von Roland Topor), aus: Topor, Tod und Teufel; Diogenes Verlag, Zürich 1985

english francais